Von Bahnen aus Stoff und vom kleinen Fussabdruck (Interview)

15. März 2023

Vor zwei Wochen haben wir unseren ersten Store in Berlin eröffnet – einen Store mit komplett neuem Konzept. Für ZURIGA ein Wagnis. Und auch für mich persönlich ein grosser Schritt, weil ich mich selber bei diesem Projekt weitgehend zurückgezogen habe und weder bei Projektleitung noch bei Konzept und Design beteiligt war. Grund genug, den Bleistift zu spitzen und die beiden Köpfe hinter dem Berliner ZURIGA Store zum Espresso einzuladen.

 

In Berlin heisst unser Store «ZURIGA Bar». Wie kommts?

Ermir: Tatsächlich haben wir zum ersten Mal in der Geschichte von ZURIGA eine eigene Espresso Bar gebaut. Wir sind hier auf einen dermassen schönen, grossen Raum gestossen, dass wir es fast zu schade fanden, einfach nur unsere Maschine auszustellen. Wir haben also eine richtig lange Bar reingestellt und machen diesen Raum damit auch für all diejenigen zugänglich, die einfach für einen kurzen Espresso Halt machen wollen.

 

ZURIGA Espresso Bar Berlin

 

Man kann die Maschinen dann auch gleich an der Bar testen und kaufen?

Manuel: Ja, das war zwischenzeitlich sogar mal die Idee. Alle Espresso und Cappuccino an der Bar bereiten wir tatsächlich an drei leicht modifizierten ZURIGA E2-S zu. Eine Kunden-Beratung wäre also eigentlich an der Bar möglich. Allerdings haben die Erfahrungen in München und Zürich gezeigt, dass es unsere Kund:innen schätzen, wenn wir uns etwas zurückziehen können.

 

ZURIGA Espresso Bar Berlin

 

Wie habt ihr darauf reagiert?

Ermir: Wir haben einen leicht abgetrennten Nebenraum für die Beratungen geschaffen. Einen Ort, an dem es keine peinlichen Fragen gibt und wo wir uns Zeit nehmen können. Rund um den Espresso gibt es nämlich erstaunlicherweise noch immer diesen Insider-Nimbus. Das führt dazu, dass viele Kund:innen das Gefühl haben, sie müssen irgendwelche Fachausdrücke kennen, bevor sie zu uns kommen. Dabei: über «adstringierende Säure» sprechen wir eigentlich nie. Und selbst «unterextrahiert» verwenden wir nur, wenn jemand mit Schnauz und Tätowierung ankommt…

 

Beim Betreten des Stores fallen die langen grünen Stoffbahnen ins Auge. Was hat es damit auf sich?

Manuel: «Welches Gefühl wollen wir schaffen» - das ist die Ausgangsfrage, die wir uns im Design-Team am Anfang jedes Projekts stellen. Hier in der Espresso Bar war es der Moment der «kleinen Pause». Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man sich kurz rausnimmt aus dem Alltag. Ein Cappuccino mit der Wochenzeitung vor der Arbeit oder einen Espresso nach der Mittagspause. Hier sollen sich Lebenswelten überschneiden – der übermüdete, frischgebackene Vater mit Baby am Bauch und die Architektin kurz vor der Bauherrinnen-Sitzung.

 

Und warum die grünen Stoffbahnen?

Manuel: Wir wollten also einen Raum mit einer gewissen Geborgenheit schaffen. Dabei waren wir beim Einzug mit einem grossen, rohen Raum konfrontiert, einem Raum der durch kalte Materialien dominiert war: Betondecke, mineralischer Boden, Glas und Aluminium. Diesen harten, grossflächigen Oberflächen wollten wir etwas Organisches, etwas Weiches entgegensetzen. Und gleichzeitig wollten wir dem fast quadratischen Raum eine rhythmische, längliche Struktur geben…

 

Und die grünen Stoffbahnen?

Manuel: Kvadrat ist ein dänisches Textilunternehmen, mit dem wir viele unserer Werte teilen – ein Unternehmen übrigens, das wir seit dem Beginn von ZURIGA verfolgen und uns Mut gibt, dass sich Qualität am Ende lohnt. Beim Stöbern durch Fotografien aus der kvadrat-Produktion sind mir die langen Stoffbahnen aufgefallen, die über horizontale Stangen gehängt werden. Diese Bilder inspirierten uns dazu, den Raum genauso zu strukturieren. Wir haben also Stoffbahnen aus der Produktion geholt und diese in einer bewusst gestalteten Komposition aufgehängt. Die Stoffbahnen hängen dort jetzt völlig «produktionsroh», also ohne Saum und mit sichtbarer Webkante. Diese bewusst zugelassene Imperfektion – so hoffen wir – bricht die Dominanz der gleichmässigen Oberflächen von Boden, Decke und Fenstern. Zusammen mit der Geborgenheit, die diese wunderschönen Textilien sowieso ausstrahlen, versuchen wir damit einen Raum zu schaffen, der trotz der Reduktion auf wenige Materialien, eine Emotion der Geborgenheit ausstrahlt.

 

 

Demgegenüber steht die fast 12 Meter lange Bar?

Manuel: Also ehrlich gesagt waren deine wennschon-dennschon-Einwürfe nicht ganz unschuldig. Mit diesem neuen Storekonzept betreten wir Neuland – der Berliner ZURIGA Store hat Versuchscharakter. Und das wollten wir hier auch auf die Spitze treiben. Rausgekommen ist eine 12 Meter lange Bar, die mit den Gegensätzen von Solidität und Leichtigkeit spielt. Das «Reinmauern» einer schweren Bar haben wir uns von Beginn weg verboten. Trotzdem wollten wir der klassischen Mailänder Espresso Bar und ihrer Atmosphäre eine Referenz erweisen. Die Grundkonstruktion tragen sägerohe Holzbalken, an die wiederum Kvadrat-Tücher gehängt sind. Und die ganze Bar-Fläche überspannt ein einziges Element aus reinem, unlegiertem Zinn.

 

Wie kommt ihr auf Zinn?

Manuel: Dieses Material findet man in den Espresso Bars in ganz Italien. Es wird in handwerklicher Manier auf einen Holzbalken aufgezogen, ähnlich wie die Marzipanschicht auf einen Kuchen. Die ersten Tage glänzt diese metallische Schicht wunderschön. Mit der Zeit und im Gebrauch stumpft die Oberfläche optisch immer mehr ab. Das Material ist weich, wer will kann mit dem Fingernagel Spuren hinterlassen. Wir waren völlig vernarrt in dieses lebendige Material, das die Zeichen der Zeit aufnimmt – und wir haben glücklicherweise einen Handwerksbetrieb gefunden hier, der immer noch solche Oberflächen herstellen kann. Wer die Zinn-Bar also noch in vollem Glanz erleben will, soll unbedingt in den nächsten Tagen vorbei gehen.

 

 

Lasst uns kurz über die Grundsätze sprechen. Warum baut ZURIGA überhaupt eigene Läden? Ist das noch zeitgemäss?

Ermir: Tatsächlich gibt es unsere Espressomaschinen ausschliesslich über unsere eigenen Kanäle zu kaufen – online oder in den ZURIGA Stores. Diesen strategischen Grundsatz haben wir vor drei Jahren gewählt und bisher auch nicht bereut. Weil wir also nicht in den Globus, KadeWe und Breuninger dieser Welt verkaufen, bauen wir eigene Läden. Zum einen wollen wir einen Ort schaffen, für Menschen, die sich den Kauf einer ZURIGA überlegen. Und zum anderen bauen wir ja auch ein Alltagsprodukt, das ab und zu in den Service muss. Das wollen wir möglichst nahe bei unseren Kundinnen machen und bauen darum auch in jeden ZURIGA Store eine kleine Werkstatt.

 

Stichwort Reparieren: ZURIGA Maschinen sind reparierbar und lassen sich in die einzelnen Teile zerlegen. Geht sowas auch bei den Stores?

Manuel: Tatsächlich war das eine Vorgabe, die wir uns selber auferlegt haben. Wir bauen möglichst alles so, dass man es wieder demontieren kann. Die Kvadrat-Stoffbahnen lassen sich abhängen und zu einem Sofa weiterverarbeiten. Das unlegierte Zinn lässt sich vom Holz lösen und dem Kreislauf zuführen. Und falls wir feststellen, dass ein anderer Standort besser zu uns passt, dann werden wir alle Möbel – auch die Bar als Ganzes – mit einem Lastwagen an den neuen Standort transportieren. Immer mit dem Ziel, dass wir möglichst wenig zurücklassen, wenn wir weiterziehen.

 

Wie seid ihr eigentlich auf den Standort gekommen?

Ermir: ZURIGA ist ein urbanes Projekt. Stark verwurzelt in Zürich – aber mit Werten, die zu allen urbanen Zentren dieser Welt passen. Dass Berlin unser nächster Standort werden sollte, war relativ rasch klar. Neben der Strahlkraft als Kreativmetropole waren es auch einfach unsere Verkaufszahlen auf der eigenen Website. Wir sehen ja genau, wohin wir unsere Maschinen liefern und so sind wir jetzt sozusagen zu unseren ersten Kundinnen gezogen.

 

Gab nicht die Einladung von Andreas Murkudis den Ausschlag für Berlin?

Ermir: Bei unseren ersten Recherchen haben wir mit vielen Exponenten aus der Berliner Architektur und Concept-Store-Szene gesprochen. Und am Schluss fiel eigentlich bei jedem Gespräch Andreas Murkudis Name. Judith von «Gonzalez Haase» hat uns dann mit ihm verbunden und Andreas war von Beginn an angetan von den Maschinen, von der manufakturiellen Herstellung und von unserer Werten. Er hat uns zur Art Gallery Week eingeladen. Die positiven Rückmeldungen von seinen Kundinnen war für uns die definitive Bestätigung, dass Berlin und ZURIGA gut zusammenpassen könnte. 

 

Warum wurde es am Schluss dann doch der Pfefferberg? Warum nicht Mitte?

Ermir: Auf unseren stundenlangen Velo-Fahrten durch die Kieze von Berlin haben wir tatsächlich auch einige Standorte in Mitte angeschaut. Am Schluss waren sie uns aber alle zu kommerziell. Tesla, Apple und H&M in direkter Nachbarschaft – das sind nicht wir. In der Auswahl stand ein Standort in Neukölln, der mich sehr gereizt hätte, gerade auch wegen der innovativen Gastronomie dort. Am Schluss wurde unser favorisiertes Geschäft aber doch nicht frei und so sparen wir uns den Store in Kreuzberg für die Zukunft. Auch interessiert hätte uns die Potsdamer Strasse nach der Neuen Galerien Richtung Schöneberg. Oder dann rund um den Savignyplatz in Charlottenburg. Der Pfefferberg ist eine wunderbare Mischung aus all diesen Aspekten. Das ehemalige Brauereiareal zwischen Prenzlauerberg und Mitte war in den 90ern besetzt und wurde nun von der Stadt Berlin für 100 Jahre im Baurecht abgegeben. Ai Wiewei und Olafur Eliason haben hier ihre Ateliers und gleich nebenan betreibt ein Inklusionsbetrieb eine sehr sympathische Jugendherberge. In dieser urbanen Mischung fühlen wir uns wohl und wir glauben, dass ZURIGA hier seinen Platz finden wird.

 

Der Store ist gebaut. Wie geht’s jetzt weiter?

Manuel: Ja, den grössten Brocken haben wir hinter uns. Aber eigentlich beginnt jetzt die spannendste Phase. Schaffen wir es, auch abseits der Passantenströme, ein Ort mit Anziehungskraft zu etablieren? Wird auch Olafur Eliasson und seine Atelier-Crew von nebenan seinen Espresso in der ZURIGA Bar trinken kommen? Stossen unsere Maschinen nachhaltig auf Interesse in Berlin? Wir werden in den nächsten Wochen oft hier sein und möglichst viel lernen. Und dann die Dinge Schritt für Schritt anpassen, damit es am Schluss ein stimmiges Ganzes gibt.

 

ZURIGA Store & Bar Berlin besuchen

Fotos: Magnus Pettersson, Nathanael Boell

 

PS:
Wer sich jetzt denkt, «aber ehrlich, setzen die sich wirklich mit Bleistift hin und führen so ein formelles Gespräch?»: Ja, das haben wir tatsächlich gemacht. Die Antworten von Ermir und Manuel allerdings hatte ich in dieser oder anderer Form schon gekannt – weil ganz so weit weg war ich natürlich auch wieder nicht. Aber ich mag die Überlegungen von den zweien und ich vermute, dass sie auch für Leute ausserhalb ZURIGA interessant sind.
 
PPS:
Am Store in Berlin waren natürlich noch wesentlich mehr Leute beteiligt. Das sieht man auf den Bildern und das spürt man, wenn man in der Espresso Bar ist. Danke, ihr seid grossartig!